Samira Langer-Lorenzani über Traumapädagogik im Alltag: Traumapädagogische Ansätze im täglichen Leben

 
Samira Langer-Lorenzani ist Pädagogin und hat sich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spezialisiert, deren Entwicklung durch traumatische Erlebnisse beeinträchtigt wurde. Neben der direkten Unterstützung der jungen Menschen legt sie großen Wert darauf, die Familien in den therapeutischen Prozess einzubeziehen, um eine langfristige Genesung und Rehabilitation zu fördern.

Traumatisierte Kinder und Jugendliche bringen oft eine schwere emotionale Last mit sich, die ihre Fähigkeit, ein stabiles und glückliches Leben zu führen, beeinträchtigt. Traumapädagogik bietet effektive Ansätze, um diesen jungen Menschen zu helfen, ihre schmerzhaften Erfahrungen zu verarbeiten und Vertrauen und Stabilität wiederherzustellen. Eltern und Betreuer können durch die Integration traumapädagogischer Prinzipien im Alltag erheblich zur Unterstützung und Heilung beitragen.

Die Grundlagen der Traumapädagogik

Traumapädagogik basiert auf dem Verständnis, dass traumatische Erlebnisse tiefe seelische Verletzungen hinterlassen. Diese Erlebnisse, wie Krieg, Flucht, schwere Unfälle oder Missbrauch, setzen Körper und Psyche unter extremen Stress. Der Stress wird oft nicht vollständig verarbeitet, was zu langanhaltenden Symptomen wie Angst, Reizbarkeit und erhöhter Wachsamkeit führt. Traumapädagogik erkennt diese Symptome als Überlebensstrategien, die in extremen Situationen erlernt wurden, und bietet Methoden, um den Kindern zu helfen, diese Strategien zu verstehen und zu bewältigen.

Umgang mit Überreaktionen

Traumatisierte Kinder zeigen oft Überreaktionen wie plötzliches Türenknallen, Rückzug oder zielloses Herumschreien. Diese Reaktionen werden meist durch Trigger ausgelöst, die Erinnerungen an das Trauma wecken. Die Amygdala, ein Teil des Gehirns, signalisiert Alarm, als ob die bedrohliche Situation wieder akut wäre. In solchen Momenten können gezielte Interventionen helfen, die Situation zu beruhigen. Symbole und Geschichten können den Kindern helfen, ihre Reaktionen zu verstehen und besser zu kontrollieren. Ein Beispiel ist das Bild eines Rauchmelders, der bei kleinster Gefahr Alarm schlägt, auch wenn kein Feuer ausgebrochen ist.

Psychoedukation und Selbstregulation

Ein wesentlicher Bestandteil der Traumapädagogik ist die Psychoedukation. Kinder lernen, ihre eigenen Reaktionen zu verstehen und zu benennen. Dies hilft ihnen, die Kontrolle über ihr Verhalten zurückzugewinnen. Praktische Methoden, wie das Trinken eines Glases Wasser bei Überreaktionen, können trainiert werden und helfen, das Nervensystem zu beruhigen. Diese einfachen, aber effektiven Maßnahmen können im Alltag immer wieder geübt werden, um die Selbstregulation zu fördern.

Zusammenarbeit und Fachwissen

Erfolgreiche Traumapädagogik erfordert nicht nur spezifisches Wissen, sondern auch eine enge Zusammenarbeit im Team. Reflexion und Supervision sind entscheidend, um die emotionale Belastung zu verarbeiten und professionell zu handeln. Fachkräfte müssen in der Lage sein, empathisch und zugleich distanziert zu agieren, um die Kinder optimal zu unterstützen. Therapeuten und Pädagogen müssen sich immer wieder weiterbilden, da es auch immer wieder neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zu erlernen gibt.

Nähe und Distanz professionell gestalten

In der Arbeit mit traumatisierten Kindern ist es wichtig, eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz zu wahren. Fachkräfte müssen empathisch und präsent sein, aber auch in der Lage, sich bewusst zu distanzieren, um die eigene emotionale Gesundheit zu schützen. Dies bedeutet, in emotional aufgeladenen Situationen ruhig und achtsam zu bleiben und die Kinder aus der Situation herauszunehmen, wenn nötig. Eine gute Fehlerkultur und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team sind hierbei entscheidend.

Integration traumapädagogischer Prinzipien in den Alltag

Traumapädagogische Ansätze sollten nahtlos in den Alltag integriert werden. Dabei geht es auch um einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen, wie die Bereitstellung von immer verfügbarem Essen oder das Schaffen eines sicheren Rückzugsortes. Auch das gemeinsame Kochen kann therapeutisch wirken, insbesondere für Kinder, die emotionale Vernachlässigung erlebt haben. Alltägliche Aktivitäten bieten den Kindern Stabilität und Routine, was für ihre Heilung entscheidend ist. Für den Einen mag es eine Selbstverständlichkeit im Alltag sein – für den anderen ist es das leider nicht.

Wichtig in der Traumapädagogik: Die Unterstützung der Eltern

Auch Eltern spielen eine entscheidende Rolle in der Traumapädagogik. Durch eine wertschätzende und verständnisvolle Haltung können sie ihre Kinder dabei unterstützen, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. Es ist wichtig, dass Eltern die Verhaltensweisen ihrer Kinder nicht als störend, sondern als Ausdruck tief verwurzelter Überlebensstrategien verstehen. Dies erfordert Geduld, Empathie und die Bereitschaft, sich kontinuierlich weiterzubilden. Auch ist es in vielen Fällen sinnvoll, wenn auch die Eltern sich therapeutische Unterstützung suchen, da traumatische Erlebnisse des Kindes auch die Eltern belasten können.

Praktische Tipps für Eltern

  1. Verständnis und Geduld: Nehmen Sie die Verhaltensweisen Ihres Kindes ernst und versuchen Sie, deren Ursprung zu verstehen. Geduld ist hierbei entscheidend, da der Heilungsprozess Zeit braucht.
  2. Routinen und Struktur: Schaffen Sie eine stabile Umgebung mit klaren Routinen. Dies gibt Ihrem Kind Sicherheit und hilft, Stress zu reduzieren.
  3. Kommunikation: Sprechen Sie offen mit Ihrem Kind über seine Gefühle und Erlebnisse. Nutzen Sie Symbole und Geschichten, um schwierige Themen zu erklären.
  4. Selbstregulation fördern: Helfen Sie Ihrem Kind, Techniken zur Selbstregulation zu entwickeln, wie das Trinken eines Glases Wasser oder tiefe Atemübungen.
  5. Professionelle Unterstützung: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Traumapädagogisch geschulte Fachkräfte können wertvolle Unterstützung bieten.

Langfristige Ziele der Traumapädagogik

Das übergeordnete Ziel der Traumapädagogik ist es, den Kindern zu helfen, Vertrauen zu sich selbst und zu anderen aufzubauen und eine stabile emotionale und soziale Basis zu schaffen. Dies beinhaltet die Entwicklung von Selbstregulationsstrategien, das Erkennen und Benennen eigener Gefühle und Reaktionen sowie das Fördern der Selbstwirksamkeit.

Die Entwicklung von Stressstrategien ist ein wichtiger Punkt. Kinder sollen lernen, mit stressigen Situationen umzugehen und alternative Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dies kann durch praktische Übungen, wie tiefes Atmen oder das Nutzen von Ablenkungsreizen, gefördert werden.

Traumapädagogik zielt auch darauf ab, die Selbstheilungskräfte der Kinder zu aktivieren. Das bedeutet, dass Kinder lernen, sich selbst zu beruhigen und ihre Emotionen zu regulieren. Durch kontinuierliche Unterstützung und Ermutigung können Kinder ihre eigenen Heilungsprozesse initiieren und stärken.

Unterschied zur Traumatherapie

Während die Traumapädagogik im Alltag integriert wird und sich auf die Stabilisierung und Unterstützung der Kinder konzentriert, geht die Traumatherapie einen Schritt weiter. Sie beinhaltet die direkte Konfrontation mit traumatischen Erlebnissen und deren Integration. Nicht jedes traumatisierte Kind benötigt jedoch eine Traumatherapie. Oft reicht es aus, wenn die Kinder lernen, ihre Reaktionen und Gefühle zu verstehen und zu regulieren, um in die Selbstbestimmung zu kommen.

Alle Beteiligten sollten am Ende nie vergessen, dass es viele Möglichkeiten gibt, um sich selbst und vor allem der traumatisierten Person Hilfe zu holen. 

 

 

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